Kurt Bodewig Bundesminister a.D.

Die Notwendigkeit der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Zeiten der Wirtschaftkrise

23.12.2009

Bodewig, Kurt (2009): Die Notwendigkeit der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Zeiten der Wirtschaftkrise. Ausschuss für Wirtschaft und Entwicklung, Parliamentary Assembly, Council of Europe.

Zusammenfassung eines Berichts

I. Einleitung: die Wirtschaftskriminalität und ihre Herausforderungen

1. Die Wirtschaftskriminalität hat zahlreiche Formen angenommen. Die wichtigsten Erscheinungsformen sind die Korruption, die Geldwäsche, die Computerkriminalität und das organisierte Verbrechen.

2. Die Wirtschaftskriminalität gibt es bereits seit langem, und sie hat sich an die moderne Welt angepasst. Sie hat sich nicht nur verändert, sondern sie hat auch von der späten Reaktion der Behörden profitiert. Die geopolitischen Auseinandersetzungen der letzten zwanzig Jahre, der bedeutende Fortschritt in Richtung auf die Globalisierung und die wichtige Rolle der neuen Kommunikationsmittel, insbesondere des Internets, haben diesen Kriminalitätsformen neue Aktionsgebiete und neue Vorgehensweisen ermöglicht. Es ist derzeit schwierig, eine finanzielle Größenordnung zu nennen, und wahrscheinlich liegt eine Schätzung auch zu tief, aber sie ist zwischen den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich und reicht von mindestens 10 % des BIP in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden bis zu über 60 % in Georgien und Aserbaidschan.

3. Ganz abgesehen von ihren finanziellen Auswirkungen hat die Wirtschaftkrise, die jüngst in den Mitgliedstaaten des Europarats ausgebrochen ist, die Frage der Wirtschaftskriminalität noch weiter in den Mittelpunkt gestellt. Dies führt häufig zu Menschenrechtsverletzungen und stellt in zahlreichen Ländern und insbesondere jenen, die als die „neuen Demokratien" bezeichnet werden und wo die Rechtsstaatlichkeit noch nicht gefestigt ist, eine Bedrohung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit dar.

4. Der Europarat arbeitet bei diesem Thema auch mit anderen internationalen und europäischen Organisationen wie beispielsweise der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Weltbank, der Europäischen Union, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), den Vereinten Nationen, Europol und Eurojust zusammen. Die Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit der Europäischen Union hat eine Reihe von Programmen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens wie beispielsweise das Programm OCTOPUS gegen die Korruption in Osteuropa entwickelt, und durch ihr Programm FALCONE, das die Stärkung des Austauschs, der Schulung und der Zusammenarbeit der für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens zuständigen Personen zum Ziel hat, fördert sie auch die justizielle Zusammenarbeit. Die Direktion für Finanz- und Unternehmensangelegenheiten der OECD (Directorate for Financial and Enterprise Affairs DAF) hat durch das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr und durch eine Arbeitsgruppe, die am 19. Juni 2009 eine politische Erklärung zur Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr abgab, die Bekämpfung der Korruption in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Die Gruppe stellt fest, dass sich die Unternehmen durch die Weltwirtschaftskrise einem gesteigerten Wettbewerbsdruck dahingehend ausgesetzt sehen könnten, sich möglicherweise insbesondere bei der Vergabe öffentlicher Aufträge der Korruption zu bedienen, und bekräftigt, dass die Bekämpfung der Bestechung ein vorrangiges Ziel bleibt.

II. Die Korruption

5. Die Korruption ist eine weitverbreitete Krankheit, die der Europarat, insbesondere durch sein Teilabkommen der Gruppe der Staaten gegen Korruption (Group of States against Corruption GRECO), sehr ernst nimmt. Die GRECO wurde vom Rat 1999 eingerichtet, um die Einhaltung der Bestimmungen zur Korruptionsbekämpfung durch seine Mitgliedstaaten zu überwachen, und verfügt jetzt über 46 Mitglieder (45 Mitgliedstaaten sowie die Vereinigten Staaten). Ihr Hauptzweck besteht in der Bekämpfung von Bestechung und Korruption, die in zahlreichen unserer Mitgliedsländer immer noch ein erhebliches Problem darstellen. Sie spricht auch Empfehlungen zur Verbesserung der Gesetzgebung aus. Die GRECO wird zu ihrem zehnten Jahrestag am 5. Oktober eine Konferenz veranstalten. An der Konferenz werden der Generalsekretär des Europarats und zahlreiche Justizminister aus den Mitgliedstaaten des Teilabkommens teilnehmen. Seit 2002 hat der Europarat verschiedene einschlägige Rechtsinstrumente wie beispielsweise das Strafrechtsübereinkommen über Korruption (SEV-Nr. 173) und sein Zusatzprotokoll und das Zivilrechtsübereinkommen über Korruption (SEV-Nr. 174) geschaffen.

6. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat diesen Gegenstand ebenfalls erörtert. Eine Reihe von Ausschüssen hat sich mit verschiedenen Aspekten der Bestechung und der Korruption befasst. Es sei hier an den Bericht von Alain Cousin und den Bericht über die Korruption der Justiz von unserem Kollegen Kimmo Sasi vom Ausschuss für Recht und Menschenrechte erinnert. Das Ziel ist es deshalb, einen umfassenden Überblick über ein Thema zu liefern, das ein kritischer Bestandteil der Wirtschaftskriminalität ist.

III. Die Geldwäsche

7. Die Wirtschaftskriminalität hat seit dem Bericht unseres Ausschusses über diesen Gegenstand im Jahr 1997 erheblich zugenommen. Der 11. September 2001, das Wiederaufleben der terroristischen Gewalt und die seit 2008 andauernde Wirtschaftkrise haben dazu geführt, dass das Problem der Geldwäsche viel komplexer geworden und schwieriger zu beherrschen und zu bekämpfen ist. Der Berichterstatter stellte 1997 mit einer gewissen Voraussicht fest, dass die Wirtschaftskriminalität, einschließlich der Phänomene der Geldwäsche und der Korruption, in den letzten Jahren in einem solchen Umfang zugenommen hätten, dass sie nicht nur für die wirtschaftliche und soziale Stabilität zahlreicher Länder und sogar der Welt, sondern auch für die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie selbst eine ernste Bedrohung darstellten. Die Terrorismusfinanzierung durch die Geldwäsche über Banken und Steueroasen macht es erforderlich, dass wir uns mit diesem Problem sehr ernsthaft auseinandersetzen, dass wir uns die verschiedenen, von der OECD herausgegebenen farbigen Listen der Steueroasen ansehen und über eine Beendigung des Bankgeheimnisses diskutieren. Zur Bekämpfung dieser Geißel hat der Europarat das Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (SEV-Nr. 141), das im September 1993 in Kraft trat, und die Konvention des Europarates über Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (SEV-Nr. 198), die im Mai 2008 in Kraft trat, verabschiedet.

8. Die Bekämpfung der Geldwäsche stellt jetzt eine der wichtigsten Tätigkeiten des Europarats dar. Er arbeitet eng mit der Arbeitsgruppe „Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“ (Financial Action Task Force - FATF), einer zwischenstaatlichen Organisation zusammen, die Politiken zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung auf nationaler und internationaler Ebene entwirft und fördert, und er verfügt mit dem Expertenausschuss des Europarates für die Bewertung von Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (Committee of Experts on the Evaluation of Anti-Money Laundering Measures and the Financing of Terrorism – MONEYVAL) über sein eigenes hochwirksames Instrument, das die von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnehmen zur Bekämpfung der Geldwäsche regelmäßig beobachtet. Der Europarat organisiert auf der Grundlage der Empfehlungen von MONEYVAL in bestimmten Ländern wie der Russischen Föderation, der Ukraine und der Republik Moldau auch Projekte zur technischen Zusammenarbeit und insbesondere die Projekte MOLI.

IV. Die Computerkriminalität und das organisierte Verbrechen

9. Der Fall der Mauer und das Ende des Kalten Krieges haben zusammen mit der Entwicklung der neuen Kommunikationsmittel die Globalisierung gefördert, was sich in einer Reihe von neuen Instrumenten und insbesondere dem Internet wiederspiegelt. Letzteres wird nicht nur zur Verbreitung von Ideen, sondern auch für wirtschaftliche Transaktionen und Kapitalbewegungen genutzt. Es ist mittlerweile üblich geworden, Waren von zuhause aus online einzukaufen, Anteile zu übertragen und Bankkonten zu verwalten. Gleichzeitig hat sich jedoch auch die Wirtschaftskriminalität im Internet schnell entwickelt. Oftmals ist sie den verfügbaren Ressourcen zur Bekämpfung dieser neuen Form von kriminellen Verhaltensweisen weit voraus.

10. Deshalb muss dieses Thema insbesondere in Zeiten einer Wirtschaftskrise sehr ernst genommen werden. Das Beispiel von Northern Rock im September 2007, als Computerkriminelle nur zwei Wochen nach dem Zusammenbruch der Bank in den Besitz von Namen, Adressen und Kontaktdaten der Kunden gelangten, macht deutlich, wie wichtig es ist, dass schnelle und geeignete Reaktionsformen auf diesen neuen Deliktstyp entwickelt werden.

11. Der Europarat ist nun darum bemüht, die Lücken durch seine Rechtsinstrumente, insbesondere sein Übereinkommen über Computerkriminalität (SEV-Nr. 185), zu schließen, das das einzige verbindliche internationale Übereinkommen zu diesem Gegenstand ist und von zahlreichen Mitgliedstaaten und Drittländern wie den Vereinigten Staaten, Kanada, Japan und Südafrika unterzeichnet wurde. Es besteht auch eine Zusammenarbeit mit Marokko, Nigeria und der Dominikanischen Republik. Einmal im Jahr werden die verschiedenen Unterzeichnerstaaten von einem Ausschuss zu Rate gezogen, und der Europarat hat eine Reihe von Initiativen wie die Schulungen in Computerkriminalität für Richter und Staatsanwälte und das gemeinsame Projekt mit der Europäischen Kommission gegen Computerkriminalität in Georgien gefördert.

12. Das organisierte Verbrechen, zu dem sehr häufig auch die Computerkriminalität gehört, hat natürlich die gleichen Wege beschritten. Die Entwicklung und Anpassung von kriminellen Vereinigungen in ihren verschiedenen Tätigkeitsbereichen wie Drogen, Zigaretten, Alkohol, Prostitution und Sextourismus, Waffen, menschliche Organe, Nachahmungen und Spielcasinos sind Gegenstand eines weiteren Berichts unseres Ausschusses über die Schattenwirtschaft. Um diesen Bericht nicht zu sehr vorwegzunehmen, beschränkt sich der Berichterstatter darauf, auf die Verbindungen der kriminellen Vereinigungen zur Computerkriminalität und die Wege der Bekämpfung dieser Bedrohungen für den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Krise zu verweisen.

V. Die justizielle Zusammenarbeit

13. Die Wirtschaftskriminalität kennte keine Grenzen. Sie ist länderübergreifend und multidimensional. Selbst wenn sie sich auf ein Land konzentriert, hat sie eine internationale Wirkung, weil alle Marktwirtschaften eng miteinander verwoben sind. Die neuen Kriminellen sind nicht länger in spezifischen und ausweisbaren Gebieten tätig. Eine Reaktion, um wirksam zu sein, kann deshalb nicht auf nationaler Ebene, sondern muss auf europäischer oder internationaler Ebene erfolgen. Die Konsultation und die justizielle Zusammenarbeit scheinen die einzigen wirksamen Mittel zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zu sein.

14. Die Justizbehörden und die Polizeikräfte der einzelnen Mitgliedstaaten des Europarats und von Drittstaaten müssen zusammenarbeiten, um eine Antwort auf die ernste Bedrohung durch dieses Phänomen zu finden. Der Europarat hat dies erkannt und insbesondere durch Projekte wie PROSECO in Südosteuropa (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Montenegro, Serbien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und UNMIK, die Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo) einen Prozess zur Stärkung der Handlungsmöglichkeiten seiner Mitgliedstaaten in die Wege geleitet, dessen Ziel es ist, ihre Gesetzgebung und die institutionellen Kapazitäten ihrer Staatsanwaltschaften zu stärken und auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Besitzstands und europäischer und internationaler Normen eine justizielle Zusammenarbeit aufzubauen. Das Projekt UPIC (International Co-operation in Criminal Matters in Ukraine - Internationale Rechtshilfe in Strafsachen) ist ebenfalls Bestandteil dieses Prozesses. Es umfasst die justizielle und Polizei-Zusammenarbeit gegen das organisierte Verbrechen, damit die Wirksamkeit der Gesetzgebung in der Ukraine verbessert wird.

VI. Schlussfolgerung

15. Die Wirtschaftskriminalität hat in diesen Zeiten der Wirtschaftkrise zweifellos zugenommen. Die Bestechung und die Korruption, die Geldwäsche, die Computerkriminalität und das organisierte Verbrechen sind Straftaten, durch die die Regierung finanzielle Mittel und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Mittel zur Wiederbelebung unserer Wirtschaften einbüßt. Der Europarat steht nun bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität an vorderster Front. Seine verschiedenen Instrumente sind allgemein anerkannt, und seine einzelnen Projekte sind Zeugnis seiner großen Erfahrung auf diesem Gebiet.

16. Die Hauptziele dieses Berichts bestehen einerseits darin, die verschiedenen Spielarten der Wirtschaftskriminalität auszuweisen, aber in erster Linie sollen Empfehlungen darüber ausgesprochen werden, wie die Mitgliedstaaten des Europarats ihre rechtliches Vorgehen an das neue Umfeld anpassen sollten, und es soll eine rechtliche Strategie vorgeschlagen werden, die sich auf die Instrumente stützt, über die die Organisation verfügt.